Geschichtliches Etzin
Deutsche Literatur
Hier ein Ausschnitt aus seinem damaligen Roman
Die historische Wanderungen durch die Mark Brandenburg des Theodor Fontanes.
Ost-Havelland, Berlin 1873

THEODOR FONTANE
(EIGENTL. HENRI THÉODORE)
Erzähler, Publizist, Lyriker
geboren: 30.12.1819
gestorben: 20.09.1898
Es haben alle Stände
So ihren Degen wert?
„Der alte Derfflinger“Sei brav,
Sei gut,
Hast Schlaf,
Hast Mut.Eine halbe Stunde von Paretz, wie dieses hart an der Havel, liegt Ketzin, schon ein Städtchen; wieder eine halbe Meile weiter, aber nun landeinwärts, Dorf Etzin. Es von Paretz aus zu besuchen verbot sich mir; ich hatte also eine eigne Fahrt, eine kleine Spezialreise dafür anzusetzen. Diese, per Bahn, ging zunächst über Spandau, Segefeld, Nauen, von hier aus zu Fuß aber, an den alten Bredow-Gütern: Markee und Markau vorüber, ins eigentliche Havelland hinein. Der Leser wolle mich freundlich begleiten.
Mit dem Glockenschlage zwölf sind wir auf dem Nauener Bahnhof eingetroffen, und das Straßenpflaster mit gebotener Vorsicht passierend, marschieren wir nach zehn Minuten schon, an Gruppen roter Husaren und gelbklappiger Ulanen vorüber, zum andern Stadtende wieder hinaus. Das weitgespannte Plateau, ein guter Lehmboden, ist flach und hart wie eine Tenne, und wäre nicht ein fichtenbestandener Höhenzug, der wie eine Coulisse sich vor uns aufrichtet, so würden wir beim Heraustreten aus dem Nauener Tore schon die spitzen Türme von Ketzin und Etzin vor uns erblicken. So aber teilt der Höhenzug das Bild in zwei Teile und gönnt uns zunächst nur den Überblick über die nördlich gelegene Hälfte.
Die Mühlen stehen so steif und leblos da, als hätten sie sich nie im Klappertakte gedreht. Sonntags- und Mittagsstille vereinigen sich zu einem Bilde absoluter Ruhe, und wäre nicht der Wind, der, oft umschlagend, bald wie ein Gefährte plaudernd, neben uns hergeht, bald wie ein junger Bursche uns entgegenspringt, so wäre die Einsamkeit vollkommen. Die Sonne brennt heiß, und nach verhältnismäßig kurzem Marsche schon machen wir halt in einem der vielen Gräben, die sich neben der Straße hinziehen. Wie uns die kurze Rast erquickt! Der Weidenstamm gönnt eine bequeme Rückenlehne, und die herabhängenden Zweige schützen gegen den Anprall der Sonne. Auch für Unterhaltung ist gesorgt; das Stilleben der Natur tut sich auf, die Goldkäfer huschen durch das abgefallene Blattwerk, und die Feldmäuse, vorsichtig und neugierig wie auf der Rekognoszierung, stecken die Köpfchen aus den Löchern hervor, die sich zahllos zu beiden Seiten des Grabens befinden. In dem Sumpfwasser zu unserer Linken beginnen inzwischen die Unken ihre Mittagsmelodien. Wie das ferne Läuten weidender Herden klingt es, und zum erstenmal verstehen wir die Sage von den untergegangenen Städten und Dörfern, deren Glocken um die Mittagsstunde leise nach oben klingen. Wir lauschen auf, aber es bangt uns mehr und mehr vor dem unheimlich einschmeichelnden Getöne, und rasch aufspringend, marschieren wir rüstig weiter in die brennende Mittagsstille hinein, dankbar gegen den jetzt wieder entgegenkommenden Wind, der uns das Gesicht kühlt und die verfolgenden Unkenstimmen mit in unsern Rücken nimmt. So erreichen wir bald den mit Nadel- und Laubholz bestandenen Sandrücken, der, als wir die Nauener Mühlen passierten, wie eine Coulisse vor uns stand, waten geduldig durch den heißen mahlenden Sand des Fahrwegs hindurch und treten endlich aufatmend in die südliche Hälfte des Havellandes ein. Aufatmend ? denn kaum die Tannen im Rücken, ist es uns, als wehe uns eine feuchte Kühle an, wie von der Nachbarschaft eines breiten Stroms, und doch ist es noch eine volle Meile bis an die Buchtung der schönen Havel.
Noch eine volle Meile bis an die Havel, aber nur eine halbe Stunde noch bis nach Etzin, dem unsere heutige Wanderung gilt. Seine schindelgedeckte Kirchturmspitze liegt schon wie greifbar vor uns, und dem Ziele unserer Reise uns näher wissend, spannen sich jetzt die Kräfte wie von selber an, Frische kehrt zurück, und noch ehe der Vorrat unsrer Wanderlieder dreimal durchgesungen, marschieren wir fröhlich und guter Dinge in das alte malerische Dorf hinein.
Alles verrät Wohlhabenheit, aber zugleich jenen bescheidnen Sinn, der sich in Treue und Anhänglichkeit an das Überlieferte äußert. Das Dorf ist noch ein Dorf; nirgends das Bestreben, ins Städtische hineinzuwachsen und aus der schmalen Bank unterm Fenster eine Verande zu machen. Der Hahn auf dem Hofe und die Schwalbe am Dache sind noch die eigentlichen Hausmusikanten, und die Bauerntöchter, die eben ihr Geplauder unterbrechen und mit ruhiger, nirgends von Gefallsucht zeugender Neugier dem Schritt des Fremden folgen, haben noch nichts von jener dünnen Pensionstünche, die so leicht wieder abfällt von der ursprünglichen Stroh- und Lehmwand.
Die Kirche des Dorfs, am entgegengesetzten Ende gelegen, entzieht sich unsrem Auge, seit wir in die Dorfgasse eingetreten, aber die Bilder und Szenen um uns her lassen uns auf Augenblicke vergessen, daß es eben die Etziner Kirche und nichts anderes war, was uns hierher führte. Die Bilder wechseln von Schritt zu Schritt. Hier stellt sich ein alter Fachwerkbau, von einem schmalen Gartenstreifen malerisch eingefaßt, wie ein Familienhaus mitten in die Dorfgasse hinein und teilt den Fahrweg in zwei Hälften, wie eine Insel im Strom; dort an den Zäunen entlang liegt allerhand Bau- und Bretterholz, und die Kinder beim Anschlagspiel lugen mit halbem Kopf über die Stämme hinweg. Die Arbeit ruht, die lichten Kronen der Lindenbäume werfen ihren Nachmittagsschatten voll und breit auf die Dorfgasse, und wir schreiten frisch und aller Müdigkeit bar darüber hin, als lägen Binsenmatten vor uns ausgebreitet. So haben wir das Dorf passiert, und auf leis ansteigendem Hügel erblicken wir endlich die Kirche wieder, in die der eben herzukommende Küster uns nun freundlich und willfährig einführt……
Autor: Theodor Fontane
Auszug aus dem Roman von Theodor Fontane „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ der Teil zum Dorf Etzin
Quelle: Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 1–25, Band 11, München 1959–1975, S. 329-338.
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Kategorien: Deutsche Literatur
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Textquelle: https://www.zeitstimmen.de/index.php?page=text&is_text=401 (abgerufen am 26.05.2021)